Die ersten Wohnungsgenossenschaften sind vor dem Hintergrund der Wohnungsnot in Folge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert entstanden. Ihr Ziel war es, bezahlbaren und guten Wohnraum für Arbeiter, Angestellte und Beamte zu schaffen – kurz für alle Bevölkerungsgruppen, die auf dem freien Wohnungsmarkt Schwierigkeiten hatten. Die Grundwerte der Genossenschaften „Selbstverantwortung, Selbsthilfe und Selbstverwaltung“ gelten auch heute noch. Im Jahr 2021 gibt es in Deutschland rund 2.000 Wohnungsgenossenschaften mit ca. 2,2 Mio. Mitgliedern.

Fakt ist: Die Rechtsform Wohnungsgenossenschaft ist immer dann besonders gefragt, wenn es auf den lokalen Wohnungsmärkten eng wird. Große Gründungswellen gab es nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg – und auch heute in Zeiten des Mangels an bezahlbaren Wohnungen in vielen Klein-, Mittel- und Großstädten – verzeichnet der VdW Bayern einen regelrechten Gründungsboom von Wohnungsgenossenschaften. Wie einst die Gründer der Traditionsgenossenschaften nehmen auch heute engagierte Menschen das Ruder selbst in die Hand und sorgen für gute, sichere und bezahlbare Wohnungen.

Was macht die Rechts- und Lebensform Genossenschaft seit Jahrzehnten so ungebrochen attraktiv?

Die Wohnungsgenossenschaften stehen durch die kollektive Eigentümerschaft für einen dritten Weg zwischen Miete und Wohneigentum. Die Mitglieder erwerben Anteile der Genossenschaft und werden so zu Miteigentümern. Dadurch haben sie die Möglichkeit, über die Mitgliederversammlungen Einfluss auf die Ausrichtung ihrer Genossenschaft zu nehmen.

Sinn und Zweck der Genossenschaften ist in ihren Satzungen klar festgeschrieben: Sie sind zuerst der Förderung ihrer Mitglieder verpflichtet. Das bedeutet konkret: Sicheres Wohnen ohne die Gefahr einer Eigenbedarfskündigung, keine Spekulation mit den genossenschaftlichen Immobilien, faire Mieten, Investitionen in den Wohnungsbestand für zukünftige Genossenschaftsmitglieder und die Übernahme von Verantwortung für die Mitglieder. Ein äußerst attraktives Gesamtpaket mit lebenslangem Wohnrecht.

Die Wohnungsgenossenschaften bieten jedoch nicht nur ihren Mitgliedern große Vorteile. Sie strahlen auch auf die Nachbarschaften aus, sind Innovationstreiber für das Quartier und starke Partner der Kommunen.

Bei ganz vielen Wohnungsgenossenschaften wird das Leben in Gemeinschaft großgeschrieben. Von gemeinsamen Begegnungsflächen, Gewerbeflächen und sozialen Einrichtungen profitiert oft auch die unmittelbare Nachbarschaft. Zudem sorgen Wohnungsgenossenschaften für eine höhere soziale Durchmischung verschiedener Bevölkerungs- bzw. Einkommensschichten und wirken dadurch der Segregation entgegen. Gerade bei jüngeren Bauvorhaben in neuen Stadtquartieren wirken die Genossenschaften als Impulsgeber für das ganze Quartier. In Leuchtturmprojekten wie dem Domagkpark und dem Prinz Eugen Park in München waren es die genossenschaftlichen Akteure, die maßgeblich Mobilitätskonzepte, öffentliche Nahversorgung, Quartiers-Gaststätten, Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsprojekte vorangetrieben haben.

Der Einsatz für bezahlbares Wohnen und die Stadtentwicklung macht Wohnungsgenossenschaften zu einem wertvollen Partner für die Kommunen. Durch ihr nachhaltiges Geschäftsmodell dient der genossenschaftliche Wohnungsbestand gewissermaßen als natürliche Mietpreisbremse. Wenn man das will – und das ist zentral – dann muss die Kommune bei der Vergabe von kommunalen Grundstücken vom Höchstpreisprinzip abrücken und auf die Vergabe nach dem besten Konzept setzen. Nur so können die sozial orientierten Genossenschaften zum Zug kommen und weiterhin ihren Beitrag für eine positive Stadtrendite leisten.

Wohnungsgenossenschaften stehen oft vor großen Herausforderungen. Die hohen Baulandpreise und die seit Jahren steigenden Baukosten erschweren Neubauprojekte zu angemessenen Mieten – schließlich muss auch die Wirtschaftlichkeit passen. Hinzu kommen die erheblichen Investitionen in die Modernisierung der Wohnungsbestände – auch vor dem Hintergrund der Klimaschutzziele.

Vor allem wirtschaftlich gilt es den Spagat zu meistern: Steigende Ausgaben für Bau- und Klimaschutzmaßnahmen einerseits und das Ziel, bezahlbares Wohnen für alle Mitglieder anzubieten andererseits – beides zusammenzubringen ist beileibe keine leichte Aufgabe. Dennoch stellen sich die Genossenschaften dieser Herausforderung mit großem Elan. In den vergangenen zwei Jahren investierten allein Bayerns Wohnungsgenossenschaften rund 250 Millionen Euro in die Modernisierung ihrer Wohnungsbestände. Ideell waren Genossenschaften ihrer Zeit in Sachen Natur- und Klimabewusstsein gewissermaßen schon immer etwas voraus: Der 100 Jahre alte genossenschaftliche Leitspruch „Licht, Luft und Sonne“ kann heute als Hinweis auf die hohe Bedeutung einer lebenswerten Umwelt für das Wohlbefinden der Mitglieder verstanden werden.

Gründungsboom bei Wohnungsgenossenschaften

Der Verband bayerischer Wohnungsunternehmen beobachtet aktuell zwei Entwicklungen. Da sind zum einen die vielen Traditionsgenossenschaften, die nach den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts gegründet wurden, sich immer wieder den neuen Herausforderungen gestellt haben und nun ihre großen Jubiläen feiern. Parallel dazu steigt das Interesse an Genossenschaftsgründungen. In keinem anderen Bundesland werden so viele Wohnungsgenossenschaften gegründet. Seit dem Jahr 2015 wurden 32 Genossenschaften in den Verband aufgenommen und der Trend ist ungebrochen.

Besonders erfreulich ist, dass sich sehr viele Traditionsgenossenschaften nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, sondern nach der intensiven Modernisierung ihrer Wohnungsbestände nun wieder in Neubauprojekte investieren.

Das genossenschaftliche Wohnen hat eine große Zukunft. Sichere, gute und sozial verantwortbare Wohnungen werden in 100 Jahren ebenso gefragt sein wie heute.