Wie ist es um die Sozialstrukturen in Bayerns Städten derzeit bestellt? Welche Wünsche und Erwartungen haben Mieter an die Entwicklung ihrer Quartiere? Wo können die Potenziale der Digitalisierung für die Gestaltung des Stadtlebens aktuell genutzt werden? Das Forum Soziale Stadtentwicklung bot Wohnungsunternehmen am 20. Februar in Bamberg die Möglichkeit, sich sowohl untereinander als auch mit verschiedenen Wissenschaftlern zu einem weitgefächertem Themenmix auszutauschen.

Die Stärken eines Quartiers erkennen, entlang neuer Trends weiterentwickeln und damit zukunftsfähig machen – bereits der Veranstaltungsort des Forums in der Bamberger Mußstraße trägt dem Gedanken vorrauschauender Stadtentwicklung Rechnung. Getagt wird in einem roten Ziegelbau in bester Lage, gleich an der Regnitz, 800 Meter bis in die Bamberger Altstadt. Früher bot das Gebäude hunderten von Webstühlen Platz – von 1863 bis in die 1980er-Jahre produzierte hier eine Textilfabrik quasi mitten im Innenstadtgebiet Kleidung und Stoffe. Nach Verlagerung der Produktion an den Stadtrand wurde der Baukörper umgebaut und bietet heute, nach Investitionen von insgesamt etwa 70 Millionen Euro, Platz für Kongresse, Feiern und Tagungen. Vom Industriebau zum Hub für die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft – die ehemaligen Fabrikhallen stehen damit stellvertretend für (Stadt-)gesellschaftliche Veränderungsprozesse der letzten Jahrzehnte.

Auch die Wohnungswirtschaft geht selbstverständlich mit der Zeit und sucht nach neuen Ansätzen – unter anderem im Bereich der Stadtentwicklung. „Die Wohnungsunternehmen, die in der sozialen Stadtentwicklung tätig sind, gehören zu den Taktgebern für das Zusammenleben in den Städten – heute und morgen“, hob Andreas Pritschet, Mitglied des Vorstands des VdW Bayern, in seiner Begrüßung zum Auftakt des Forums hervor. Er dankten den Mitgliedern des Fachausschusses Soziale Stadtentwicklung beim VdW Bayern für die Zusammenstellung eines interessanten Tagungsprogrammes.

Hans Sartoris, Geschäftsführer der Stadtbau Würzburg und Vorsitzender des Fachausschusses, stellte im Anschluss die drei großen Themenblöcke des Tages vor: Wohnungswirtschaft schafft Heimat, Digitalisierung in der Stadtentwicklung und wissenschaftliche Bestandsaufnahme beim Thema Soziale Mischung. Auch für Sartoris zählt in der Stadtentwicklung der Blick in die Zukunft: „Wie in allen anderen Tätigkeitsbereichen der Unternehmen warten im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung neue Aufgaben bei der Gestaltung von Quartieren und Nachbarschaften – es bieten sich aber auch neue Möglichkeiten.“

Auf dem Weg zur digitalen Stadt

Einen einführenden Überblick über Chancen der Digitalisierung und neue Entwicklungen im Bereich Smart Cities gab Prof. Viktor Grinewitschus von der EBZ Business School. Positive Agglomerationseffekte würden auch weiterhin Treiber der Urbanisierung bleiben, so der Wissenschaftler. Die immer eindringlicher gestellte Frage nach den Umweltwirkungen der Verstädterung müsse dabei differenziert betrachtet werden: „Ja, Städte haben den höchsten Ressourcenbedarf aller Siedlungsformen. Aber: Hier ist das Optimierungs- und Einsparungspotenzial in Zukunft auch am größten.“ Diese Einsparungspotenziale könnten in den nächsten Jahren vor allem durch eine Transformation der Stadt zur „Smart City“ gehoben werden, ist Grinewitschus überzeugt. Neue Kommunikations- und Informationssysteme erleichtern dabei Abstimmungs- und Verwaltungsprozesse, während intelligente Infrastruktur, etwa Stromnetze, die über automatische Laststeuerung Energieverbrauch und Stromkosten optimieren, den ökologischen Fußabdruck absenken.

Anhand von Beispielen aus Kopenhagen, Wien und Amsterdam zeigte Grinewitschus, welche Smart City-Lösungen aktuell bereits erfolgreich zum Einsatz kommen. In Deutschland hat laut dem Forscher derzeit Hamburg die Nase in Sachen Smart City vorn. „Schwerpunkte der Hansestadt sind die Förderung von Smart Metering, ein Ausbau der digitalen Verwaltung und neue Konzepte für eine dezentrale Energieversorgung“, weiß Grinewitschus zu berichten.

Die EU unterstützt einerseits Smart City-Projekte durch Fördermaßnahmen; gleichzeitig erhöht die Union jedoch auch den Druck auf Städte und Unternehmen. So geben etwa die „Energy Performance of Buildings Directive“ und das neu aufgelegte europäische Klimaschutzprogramm neue Zielgrößen und Maßstäbe beim Ausbau der digitalen Stadtinfrastruktur vor. Eine der Messgrößen für Fortschritte in diesem Bereich, den Smart Readiness Indicator (SRI), stellte Grinewitschus zum Abschluss seines Vortrages detailliert vor.

Im Anschluss gab Klaus Illigmann, Abteilungsleiter der Abteilung „Bevölkerung, Wohnen und PERSPEKTIVE MÜNCHEN“ im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt einen Überblick über aktuelle Entwicklungen, Maßnahmen und Vorhaben der Stadt München auf dem Gebiet Smart City. Besonderes Augenmerk legt die Landeshauptstadt derzeit auf den Ausbau der digitalen Teilhaben, einer Bündelung von digitalen Angeboten der Verwaltung, welche von Bürgern unabhängig von ihrer Netzaffinität genutzt werden kann.

Der Themenblock Digitalisierung wurde durch eine Gesprächsrunde abgeschlossen. Im Gespräch mit Grinewitschus und Illigmann stellten Christian Amlong, Sprecher der Geschäftsführung der GWG München und Alexander Förster, Geschäftsführer der Stadt- und Wohnbau Schweinfurt die Projekte in ihren Unternehmen sowie die Hürden, auf welche die Wohnungswirtschaft im Nexus „Smart City“ stößt, dar.

„Die Digitalisierung ist für uns ein Riesenthema“, sind sich Amlong und Förster sofort einig. In beiden Unternehmen sind eigens eingerichtete Abteilungen neuen Trends auf der Spur und machen die Geschäftsabläufe fit für die digitale Zukunft. Der neue Rohstoff des digitalen Zeitalters sind Daten, die von den Unternehmen zur Verbesserung der Leistungen für Mieter oder zur Entwicklung neuer Angebote, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Bewohnerschaft, genutzt werden könnten.

„Der Umgang mit den Daten unserer Mieter bedeutet dabei eine große Verantwortung“, stellt Förster klar. Im Gegensatz zu Branchenriesen wie Google, Microsoft und Amazon müssen Wohnungsunternehmen hier erst einmal die richtigen Vertragslösungen zur Datenerhebung, -nutzung und -sicherung finden. Gleichzeitig bringen sich viele Mitbewerber im Wettbewerb um die deutschen Mieterdaten bereits in Stellung, egal ob große Messdienstleister, Onlinehändler oder Energiebetriebe. „Nach Möglichkeit sollten die Wohnungsunternehmen aber in Zukunft selbst die Kontrolle über die Daten, die in ihren Gebäuden anfallen, behalten“, mahnt Grinewitschus. Gerade im Bereich der Energieverbrauchsmessung nehme ansonsten die Abhängigkeit der Branche von den großen Messdienstleistern im Zuge steigender Auskunftspflichten gegenüber den Mietern immer weiter zu.

In seiner Tätigkeit als Verbandsratsvorsitzender des VdW Bayern erläuterte Förster im Anschluss an die Diskussion die aktuellen Maßnahmen des VdW Bayern sowie des Bundesverbandes GdW, welche die Wohnungsunternehmen bei der Bewältigung dieser neuen Herausforderungen unterstützen sollen. Neben einem neueingerichteten Arbeitskreis Digitalisierung beim VdW Bayern, welcher Workshop- und Informationsangebote für die Branche konzipieren soll, widmet sich auch der GdW im Rahmen des Arbeitskreises Wohnungswirtschaft 4.0 sowie mit dem neu gegründeten Kompetenzzentrum Digitalisierung diesem Themenschwerpunkt.

Kooperation gestaltet Quartier

Am Nachmittag wandten sich die Teilnehmer des Forums den Themen Kooperation und Quartiersmischung zu. In seinem Vortrag „Die Wohnungswirtschaft als Gestalter von Heimat“ beleuchtete Frank Emrich, Verbandsdirektor des Verbandes Thüringer Wohnungsunternehmen, das Zusammenspiel von Stadt und Land bei der Gestaltung ausgeglichener Wohnungsmärkte.

„Eine klare Stadt-Land-Dichotomie gibt es nicht, wenn man auf die Lebensqualität in Deutschland schaut“, stellte Emrich bereits zu Beginn seines Vortrages klar. Während die Stadt als Lebens- und Arbeitsort geschätzt wird, zieht es Menschen aufgrund des Naturwertes und zusätzlicher räumlicher Entfaltungsmöglichkeiten auch immer wieder aufs Land.

Ob auf dem Dorf oder in der Metropole: Entscheidend seien laut Emrich die Angebote vor Ort – auch jene durch die Wohnungsunternehmen. „Viele Unternehmen betreiben bereits heute Nachbarschaftstreffs, aktive Formen des Sozialmanagements oder Mietergärten“, weiß der Thüringer Verbandsdirektor. Mit diesen und ähnlichen Maßnahmen könne die Attraktivität von ländlichen Räumen gestärkt werden – wenn die Kooperation zwischen öffentlicher Hand und Wohnungsunternehmen stimmt. „Vielerorts steht die regionale Zusammenarbeit zwischen Wohnungswirtschaft und Verwaltung oder Politik noch ganz am Anfang“, bedauert Emrich. Eine Kooperation mit regionalen Planungsverbünden, Bildungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden steht in vielen Gebieten noch aus. Besser steht es um die Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene: Hier bestehen bei den allermeisten Unternehmen bereits gute Kontakte zu Kommunalpolitikern, Wohlfahrtsverbänden und der kommunalen Verwaltung.

Ein Beispiel für gelungen Kooperation zwischen Wohnungswirtschaft, sozialen Trägern und einer Kommune zum Nutzen der Mieter stellte im Anschluss Dr. Rainer Mayerbacher, Geschäftsführender Vorstand der Baugenossenschaft sowie der Wohnungsbaugesellschaft des Landkreises Coburg vor. Am Beispiel des Seniorenwohnkonzepts Rödental berichten Mayerbacher und seine Kollegin Dorothee Gerhardt von einem vielfältigen Angebot für ältere Mieter, welches durch ein weitgefasstes Netzwerk getragen wird.

Während die Wohnungsbaugesellschaft bereits ein vielfältiges Portfolio aus altersgerechten Wohnungen, einer Senioren- und Wohnraumberatung, verschiedenen Sportangeboten und regelmäßige Hausbesuche anbietet, stellen die Netzwerkpartner eine Vielzahl weiterer abgestimmter Angebote bereit. Dazu gehören neben medizinischen Dienstleistungen und einer Gesundheitsberatung auch Unterstützungsleistungen für pflegende Angehörige und ein regelmäßiger Wissensaustausch mit lokalen Hochschulen. Sogar das gemeinsame Musizieren in einem Ensemble wird unterstützt. Das Netzwerk stiftet dabei nicht nur einen Mehrwert für die Mieter, sondern sorgt auch für einen stetigen Austausch und der stetigen Entwicklung neuer Ideen. „In Coburg hat sich das Partnerkonzept bewährt und ganz neue Strukturen der Zusammenarbeit geschaffen“, resümiert Mayerbacher.

Soziale Mischung und Gedankenwelt der Spätaussiedler

Zum Abschluss des Tages ging es für die Teilnehmer des Forums quasi „mit der Lupe ins Quartier“: Den Anfang machte Dr. Viktor Krieger, Bayerisches Kulturzentrum der Deutschen aus Russland, der die geschichtlichen Stationen der aus Russland nach Deutschland ausgewanderten Spätaussiedler nachzeichnete und daraus Rückschlüsse für die heutige Integration sowie soziale Lebenswelt dieser Personengruppe zog.

Die Vorfahren der heutigen Spätaussiedler wurden im 18. Jahrhundert durch die Zaren als Kolonisten zur Urbarmachung unwirtlicher Landesteile zwischen Wolga und Don nahe der heutigen russisch-kasachischen Grenze in das russische Reich eingeladen. Zum Dank für die Kolonialisierung dieses bis dahin kaum besiedelten Landesteils wurden den Auswanderern weitgehende Selbstverwaltung, unter anderem die Beibehaltung von Deutsch als Verwaltungssprache und eine Befreiung vom Militärdienst, zugestanden. „Dies ist als Urmotiv für die Personengruppe der Spätaussiedler prägend“, betonte Krieger. „Ihr Verhältnis zum Staat sehen sie durch einen Vertrag geprägt: Als Gegenleistung für Gesetzestreue und fleißige Arbeit erwarteten sie faire, rechtsstaatliche Verhältnisse und gewissermaßen ein staatliches Schutzversprechen ihrer persönlichen Autonomie.“

Ab 1870 verschlechterte sich die Position der sogenannten Russlanddeutsche rapide; sie verloren viele ihrer Autonomierechte und sahen sich insbesondere im Zuge der Weltkriege in der Sowjetunion massiven Repressalien und Vertreibungen ausgesetzt. Infolge dieser Entwicklungen siedelten viele von ihnen wieder nach Deutschland über, wo die Integration vielfach gut gelungen sei. „Dabei hat sich diese Personengruppe jedoch viele ihrer Vorstellungen und Eigenschaften bewahrt“, unterstrich Krieger. Neben einer starken Ausrichtung auf die eigene Familie zeichneten sich die Spätaussiedler darüber hinaus durch Fleiß, Religiosität und eine konservative Wertewelt aus.

Nach dieser Verortung der Spätaussiedler in Deutschlands Quartieren weitetet Dr. Lisa Küchel, Geschäftsführerin bei Weeber+Partner Institut für Stadtplanung und Sozialforschung, den Blick und referierte zum Thema „Soziale Mischung zwischen Anspruch und Wirklichkeit“. Anhand verschiedener Untersuchungseinheiten, unter anderem Quartiere in Stuttgart, Würzburg, Berlin, München und Ulm zeichnete Küchel den Zusammenhang zwischen Bewohnerzufriedenheit und sozialer Mischung nach.

„Generell kann man zur Quartiersplanung sagen: Hauptsache sozial gemischt!“, so Küchel, In Quartieren mit bis zu 40% Anteil an geförderten Wohnungen ergebe sich über alle Studienobjekte hinweg ein Spitzenwert bei der Bewohnerzufriedenheit von rund 90%. Auch eine Beimischung von Eigentum wirkt sich laut der Studienergebnisse positiv auf die Zufriedenheit in der Nachbarschaft aus.

Eine hohe Bewohnerzufriedenheit korreliere darüber hinaus direkt mit nachbarschaftlichen Kontakten: „Über 90% aller ‚sehr zufriedenen‘ Mieter haben oft Kontakt mit ihren Nachbarn – man unterhält und unterstützt sich“. Die meisten Kontakte finden im Erschließungsbereich der Wohnanlage, in den Hauseingangsbereichen und Treppenhäusern, vor Briefkästen und Aufzügen statt. Überraschend: Verhältnismäßig selten finden Kontakte laut der Studienergebnisse auf Grünflächen und bei Aufenthaltsgelegenheit um das Haus statt. Auch Einrichtungen wie Bäcker, Läden und Kitas im Quartier stellen für viele Bewohner nur selten Orte des Austauschs mit den Nachbarn dar. „Es kommt dabei allerdings auf die Gestaltung der Grünflächen und Quartierseinrichtungen an“, weiß Küchel. Bei Grünanlagen hätte sich beispielsweise die Einrichtung eines zentralen Platzes sowie zugänglicher, einladender Grünflächen mit dezentralen Sitzgelegenheiten bewährt.

Als Anreiz für die Wohnungsunternehmen, die Bewohnerzufriedenheit mit ihrer Nachbarschaft genau im Blick zu behalten nennt Küchel zu Abschluss noch ein weiteres Studienergebnis: „Wer unzufrieden mit seiner Nachbarschaft ist, bewertet auch regelmäßig Bebauungsdichte und Lärmschutz schlechter als Bewohner der selben Anlage, die alles in allem sehr zufrieden mit ihrer Nachbarschaft sind.“ Eine gelungene soziale Mischung können damit auch Ergebnisse hervorbringen, die ansonsten nur durch Baumaßnahmen generiert werden könnten.

Zum Ende des Forums zeigte sich der Vorsitzenden des Fachausschusses Soziale Stadtentwicklung, Hans Sartoris, zufrieden. „Die Vorträge haben den Stellenwert einer Stadtentwicklung mit Augenmaß herausgearbeitet“. Die Wohnungsunternehmen seien in diesem Bereich gesellschaftlich gefordert. Durch kreative Kooperationsansätze, die Nutzung neuer Technologien und einen ständigen Austausch mit Partnern in Wissenschaft und Politik: „Die Wohnungswirtschaft arbeitet an funktionierenden Städten und Quartieren heute – und auch morgen.“