Zahlen und Fakten der bayerischen eGs

Unter dem Leitspruch „Genossenschaften bauen eine bessere Welt“ haben die Vereinten Nationen das Internationale Jahr der Genossenschaften 2025 ausgerufen. Das Jahr soll genutzt werden, um ein Bewusstsein für Genossenschaften und ihren Beitrag für die nachhaltige soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung zu schärfen. Bereits 2012 fand das erste Internationale Jahr der Genossenschaften unter dem Motto „Ein Gewinn für alle! – Die Genossenschaften“ statt. Seit 2016 gehört die Genossenschaftsidee zum UNESCO-Kulturerbe. Laut den Vereinten Nationen steht die Rechtsform der Genossenschaften für eine Vereinbarkeit von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialer Verantwortung.

Diese beiden Dimensionen haben auch die bayerischen Wohnungsgenossenschaften fest im Blick. Von den Gründungswellen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg bis zu den heutigen Initiativen haben die über 350 Wohnungsgenossenschaften im Freistaat stets neue Wege gefunden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Dieses Engagement wurzelt tief in der Geschichte: Bayern ist das Zuhause der ältesten bestehenden Wohnungsgenossenschaft Deutschlands, der Baugenossenschaft München von 1871 eG. Doch auch die Gegenwart zeigt, dass die genossenschaftliche Idee weiterhin überzeugt: Seit 2014 wurden 40 neugegründete Genossenschaften in den VdW Bayern aufgenommen – so viele wie in keinem anderen Bundesland.

Die jüngste unter ihnen ist die im Februar 2024 gegründete Karschter Baugenossenschaft Karlstadt eG. Die Erfolgsgeschichte „Bayerische Wohn-eG“ lässt sich nicht nur anhand vieler 75- und 100-jähriger Jubiläen oder zahlreicher Neugründungen in den letzten Jahren nachvollziehen – die Genossenschaften sind auch vielerorts in Bayern wichtige Akteure auf dem Wohnungsmarkt. So finden sich beispielsweise 22% aller Mietwohnungen in der Stadt Hof im Bestand der Baugenossenschaft Hof eG – am anderen Ende von Bayern, im Allgäu, betreut die BSG-Allgäu eG rund 7.000 Wohnungen.

Gutes, sicheres und sozial verantwortbares Wohnen

Mit einer Durchschnittsmiete von 6,21 Euro pro Quadratmeter (Stand Dezember 2023) stellen die 352 bayerischen Wohnungsgenossenschaften überall in Bayern eine natürliche Mietpreisbremse dar. Gemeinsam verwalten sie über 200.000 Wohnungen – darunter mehr als 21.000 gefördert – mit insgesamt rund 8,9 Millionen Quadratmeter Wohnfläche.

Für ihre 300.000 Mitglieder investierten die Wohnungsgenossenschaften auch im Jahr 2024 über 650 Millionen Euro. Ein erheblicher Anteil dieser Investitionen, über 50%, floss in die Instandhaltung und Modernisierung des bestehenden Wohnungsbestands. Damit unterscheiden sie sich deutlich von anderen Mitgliedsunternehmen des VdW Bayern, die den Schwerpunkt ihrer Investitionen stärker auf den Neubau legen.

Dieser Fokus auf den Bestand lässt sich aus der Geschichte der (Wohnungs-)Genossenschaftswesens in Bayern erklären: Mehr als die Hälfte der Wohn-eGs im Freistaat wurde vor 1930 gegründet, wodurch sie über eine Vielzahl an Wohnungsbestände älterer Baualtersklassen verfügen. Diese Ausgangslage macht die Klimawende zu einer besonderen Herausforderung – der Genossenschaften jedoch tatkräftig begegnen. Viele bayerische Wohnungsgenossenschaften sind beim klimaneutralen Umbau „ihrer“ Wohnquartiere ganz vorne mit dabei. Für die Zukunft hoffen die Genossenschaften auf eine praxisorientierte Klimapolitik, die auf CO2-Reduktion statt Energieeinsparung setzt. Im Gegenzug können sich Wohnungsgenossenschaften stärker auf den Neubau konzentrieren und dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum schaffen.

Das Genossenschaften dringend auf neue Impulse angewiesen sind, zeigen die Fertigstellungszahlen der vergangenen Jahre. Stellten Bayerns Wohnungsgenossenschaften in den Jahren zwischen 2019 – 2022 Jahr für Jahr mehr als tausend neue Wohnungen fertig, so fielen die Fertigstellungsquoten seit 2023 rapide ab – 2024 entstanden noch rund 500 neue Genossenschaftswohnungen in Bayern. Hohe Finanzierungszinsen sowie viel zu hohe Baukosten machen derzeit viele genossenschaftliche Neubauprojekte zunichte.

Ein Wiederaufleben des genossenschaftlichen Wohnungsbaus ist angesichts der stark angespannten Wohnungsmärkte in Bayern dringend nötig. Jede Genossenschaftswohnung ist ein Ort, an dem die Mitglieder gut, sicher und zu bezahlbaren Preisen wohnen können. Das belegt auch die sehr niedrige Fluktuationsquote in Wohn-eGs: Durchschnittlich 20 Jahre leben die Mitglieder einer Genossenschaft in ihrer Wohnung – deutlich länger als Mieter auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt.

Diese besonderen Verdienste der Genossenschaften als Anbieter auf dem Wohnungsmarkt feiert das Internationale Jahr der Genossenschaften 2025.

Einweihungsfeier des genossenschaftlichen Wohnprojekts wagnisWEST in Freiham

Einweihungsfeier des genossenschaftlichen Wohnprojekts wagnisWEST in München-Freiham

“Der Mensch steht im Mittelpunkt” – Genossenschaftliches Wohnen in der Schweiz

Interview mit Direktor Urs Hauser vom Verband der gemeinnützigen Wohnbauträger

Herr Hauser, die genossenschaftlichen Bauprojekte in der Schweiz genießen national und international ein hohes Ansehen. Was macht sie so besonders?

Die Frage freut mich. Der gute Ruf der Schweizer Genossenschaften liegt an ihrem menschenzentrierten Ansatz. Sie richten sich stark an den Bedürfnissen der Zielgruppen aus – sei es klassische Familien, Patchwork-Konstellationen, Senioren oder Singles. Wir schaffen Wohnraum, der nicht standardisiert ist, sondern unterschiedliche Lebensstile und Wohnformen zulässt und auch Gemeinschaftsflächen wie Cafeterien, Musikräume oder Spielplätze umfasst. Der Mensch steht im Mittelpunkt, wie es auch die „Charta“ der gemeinnützigen Wohnbauträger in der Schweiz vorschreibt.

Zudem achten wir sehr auf hohe architektonische und städtebauliche Qualität. Viele Projekte entstehen in enger Zusammenarbeit mit renommierten Architekturbüros. Genossenschaftssiedlungen werden auch immer wieder mit Preisen ausgezeichnet. Genossenschaften gehören auch zu den Pionieren im nachhaltigen Planen und Bauen. Diese Qualität können wir bieten, weil unser Ziel nicht der kurzfristige Profit ist, sondern nachhaltige, gute Lösungen.

Und nicht zuletzt ist es natürlich auch eine Frage des Geldes, die das genossenschaftliche Wohnen attraktiv macht. Die
Genossenschaften bieten Wohnungen, die deutlich günstiger als der Markt sind – im Durchschnitt 20 Prozent unter den marktüblichen Preisen.

In Bayern haben sich wegen der angespannten Lage am Wohnungsmarkt seit 2015 zahlreiche neue Genossenschaften gegründet. Gibt es auch in der Schweiz eine Renaissance dieser Rechtsform?

Nicht im selben Ausmaß. In der Schweiz genießen Genossenschaften zwar ein hohes gesellschaftliches und politisches Ansehen, aber die Unterstützung durch die Politik bleibt begrenzt. Im Prinzip herrscht der politische Grundsatz, dass der Wohnungsbau durch den Markt geregelt wird. Fördermittel sind knapp, und hohe Bodenpreise erschweren besonders kleineren Genossenschaften die Schaffung neuen Wohnraums.

Historisch gesehen gab es in der Schweiz immer wieder Phasen, in denen Genossenschaften einen Aufschwung erlebten – etwa nach den beiden Weltkriegen. Sollte sich die Wohnungsknappheit weiter verschärfen, könnten wir eine ähnliche Entwicklung sehen. Es könnte durchaus sein, dass wieder eine Renaissance der Genossenschaften kommt, wenn der Druck noch stärker wird.

In vielen deutschen Städten ist es so gut wie unmöglich, eine Genossenschaftswohnung zu bekommen. Wie verhält es sich in der Schweiz?

In den Städten ist die Nachfrage nach Wohnraum deutlich höher als das Angebot. Es ist nicht einfach, eine Genossenschaftswohnung zu finden. Deshalb ist die Transparenz über die Vermietungsprozesse und wie man bei der Wohnungssuche am besten vorgeht, ein wichtiges Thema, dem wir uns
annehmen wollen. Die beste Chance auf eine Genossenschaftswohnung hat man bei Neubauprojekten. Eine weitere Möglichkeit sind genossenschaftliche Projekte in Kleinstädten oder auf dem Land. Die Genossenschaften haben in der Schweiz einen Marktanteil von ungefähr fünf Prozent. In Städten wie Zürich liegt er bei 25 Prozent.

Wie ist es aktuell um den genossenschaftlichen Wohnungsbau in der Schweiz bestellt?

Die Genossenschaften haben, wie schon gesagt, ein hohes Ansehen in Politik und Gesellschaft. Wenn es allerdings ums Geld geht, wird es oft schwierig. Auch die Genossenschaften sind vom aktuellen Sparkurs betroffen. Bei den aktuellen politischen Kräfteverhältnissen haben es Forderungen nach einer stärkeren Förderung von Wohnbaugenossenschaften schwer. Fragen wie das Vorkaufsrecht von Grundstücken werden in bürgerlichen politischen Kreisen skeptisch betrachtet. Man möchte eine Beschneidung des Marktes vermeiden.

Welchen Weg gehen die schweizer Genossenschaften beim Klimaschutz im Wohnungsbestand?

Nachhaltigkeit ist für uns ein zentrales Anliegen. Die „Energiestrategie 2050“ der Schweiz legt fest, dass die gesamte Energieversorgung bis Mitte des Jahrhunderts auf erneuerbare Energien umgestellt wird. Wir setzen dabei auf Anreizsysteme und Fördermittel, etwa für Solaranlagen oder erneuerbare Heizsysteme. Viele Entscheidungen werden in der Schweiz jedoch auf Kantonsebene getroffen, was zu regionalen Unterschieden führt. Einige Kantone gehen sehr weit, etwa mit Verboten fossiler Heizsysteme, während andere zurückhaltender sind. Aber das Ziel ist klar: nachhaltige, klimafreundliche Wohngebäude.

Direktor Urs Hauser

Innenhof der schweizer Genossenschaft Kalkbreite
Innenhof der schweizer Genossenschaft Kalkbreite

Die Genossenschaft Kalkbreite wurde im Juni 2007 gegründet.  Die Bilder zeigen den im Sommer 2014 bezogenen Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite mit 97 Wohneinheiten und einer Vielfalt an Gewerbebetrieben sowie einem kleinen Guesthouse und einer Raumvermietung (Flex-Meetingräume).
Bilder: Genossenschaft Kalkbreite, Volker Schopp