Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor
Renommierte Wissenschaftler aus den Bereich Architektur und Ingenieurwesen haben am 14.11.2024 in Berlin ihr Manifest für eine nachhaltige, kosteneffiziente und sozial verträgliche Klimapolitik im Gebäudesektor vorgestellt. Die sozial orientierte Wohnungswirtschaft unterstützt die Initiative der Wissenschaftler und ist ihr offiziell beigetreten.
Manifest für einen Kurswechsel in der Klimapolitik für den Gebäudesektor
Die historisch gewachsene Fokussierung auf Energieeinsparung im Gebäudesektor ist gescheitert! Nur ein Paradigmenwechsel im Klimaschutz bei Gebäuden auf einen Praxispfad, der die Reduzierung von Treibhausgasemissionen ins Zentrum unseres Handelns rückt, ist finanzierbar, stellt die Erreichung der Klimaschutzziele sicher und gewährleistet bezahlbares Wohnen!
Wir Professorinnen und Professoren aus den Fachbereichen Architektur und Ingenieurwesen wollen einen breiten gesellschaftlichen Diskurs führen und mit allen Akteurinnen und Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sowie Bürgerinnen und Bürgern über einen besseren Weg streiten.
Wir haben deshalb die „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ (Arbeitstitel) gegründet.
Wir rufen dazu auf, sich dieser Initiative anzuschließen, um mit allen politischen Kräften, der jetzigen und vor allem der zukünftigen Bundesregierung, einen realistischen Weg in die Klimaneutralität für den Gebäudesektor zu verhandeln, der finanzierbar ist.
Prof. Dirk Hebel, Prof. Dietmar Walberg, Prof. Elisabeth Endres und Prof. Werner Sobek (von links)
Bilder: „axentis/Lopata“
Die Klimaschutzziele für den Gebäudesektor können angesichts der anhaltend niedrigen Sanierungsrate und hoher Baukosten nicht mehr erreicht werden. Hauptgrund dafür ist die einseitige politische und gesellschaftliche Fokussierung auf Energieeinsparung am Einzelgebäude. Die aktuellen Förderprogramme bleiben dadurch mit Blick auf die Klimaschutzziele nahezu wirkungslos. Im vergangenen Jahrzehnt wurden in Deutschland über 500 Milliarden Euro in die Gebäudedämmung und die Haustechnik investiert, ohne dass der Energieverbrauch signifikant abgesenkt werden konnte.
Die derzeit angestrebten Maßnahmen sind ineffizient. Sie würden bis zum Jahr 2045 mehr als 260 Milliarden Euro an jährlichen Investitionen erfordern (mehr als 5.000 Milliarden Euro kumuliert). Dieser Summe stehen derzeit nur rund 60 Milliarden Euro an jährlich eingesetzten Investitionsmitteln in energetische Modernisierung und Haustechnik gegenüber. Diese Zahlen belegen den falschen Kurs. Die erforderlichen Investitionen sind nicht leistbar. Die Fokussierung auf immer höhere Energieeffizienzstandards birgt zudem sozialen Sprengstoff, weil die dadurch ausgelösten Maßnahmen zu unnötig hohen Warmmieten für Mieterinnen und Mieter führen. Der Förderbedarf des derzeitigen Energieeffizienzpfades übersteigt das vom Bundeshaushalt Leistbare um ein Mehrfaches. Die Klimaschutzpolitik für den Gebäudesektor bedarf daher einer Neuausrichtung. Erforderlich ist ein Paradigmenwechsel:
Die Errichtung und der Betrieb von Gebäuden müssen künftig an CO2-Reduktionszielen und nicht mehr an Energieeffizienzforderungen für den Gebäudebetrieb orientiert werden.
Es ist noch genug Zeit, um das Ruder herumzureißen: Wir plädieren dringend für eine Abkehr vom bisherigen Energieeffizienzpfad und fordern einen Praxispfad Emissionsreduktion. Denn er ist am ehesten für Immobilieneigentümer finanzierbar, für Mieter bezahlbar und für den Klimaschutz erfolgreich umsetzbar.
Mit unserem Praxispfad Emissionsreduktion können wir die nötigen kumulierten Investitionskosten von rund 5,2 auf 1,9 Billionen Euro bis zum Jahr 2045 senken. Der nötige Förderbedarf würde sich somit von heute 50 Milliarden Euro auf 18 Milliarden Euro pro Jahr senken lassen. 18 Milliarden Euro sind immer noch eine erhebliche Summe, aber sie wäre in der Praxis in öffentlichen Haushalten darstellbar. 50 Milliarden Euro werden es angesichts zunehmend knapper Haushaltskassen nicht sein. Auch die Wohnkosten lassen sich in dem von uns vorgeschlagenen Szenario zumindest im Zaum halten. Denn Fakt ist: Die Umstellung der Wohnungen auf emissionsreduzierte bzw. emissionsfreie Gebäude kostet. In unseren Modellrechnungen, die auf realen Daten aus der Praxis basieren, können wir nachweisen, dass die Mietkosten stärker steigen, wenn höhere Effizienzstandards verfolgt werden. Wir müssen uns von der Lebenslüge verabschieden, nach der die Kosten für Effizienzmaßnahmen durch eingesparte Energiekosten finanziert werden. Mieter werden mehr bezahlen. Wir zeigen jedoch einen Weg mit moderaten Kostensteigerungen auf, die von den Gebäudeeigentümern, den Mieterinnen und Mietern bzw. der Gesellschaft zu tragen sein werden.
Als erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen mit hohem Praxisbezug fordern wir jetzt einen Kurswechsel. Um den Klimapfad noch erfolgreich gehen zu können, haben wir uns auf fünf zentrale Handlungsfelder verständigt, auf denen wir die geeigneten Stellschrauben für die von uns geforderte Kurskorrektur sehen:
1. Konsequente Fokussierung auf eine emissionsfreie Wärmeversorgung
Der Übergang zu einer emissionsfreien und damit klimaneutralen Wärmeversorgung muss beschleunigt werden. Es sollte so bald wie möglich keine weiteren Investitionen in verbrennungsbasierte Heizungen mehr geben. Stattdessen sollen Wärmepumpen und andere emissionsfreie Technologien umfassend gefördert werden. Um eine nachhaltige Wärmeversorgung
sicherzustellen, sollen Wärmenetze aufgebaut und Abwärme aus Industrieprozessen genutzt werden. Der Ausbau von Wärmepumpen und die Nutzung erneuerbarer Energien auf Quartiersebene werden hierbei priorisiert wie bilanzielle Ansätze auf der Ebene von Gebäudeflotten und Quartieren im Allgemeinen und hier insbesondere die gebäudeübergreifende bilanzierbare Nutzung von Solarenergie.
2. Maßvolle Sanierung statt Überoptimierung
Eine maßvolle Sanierung orientiert sich an der Lebensdauer der Bauteile und dem tatsächlichen Bedarf. Diese Vorgehensweise erhält graue Emissionen und vermeidet unnötige Kosten, die durch extreme Effizienzmaßnahmen entstehen. Sanierungen sollen nur erfolgen, wenn Bauteile abgängig sind. Geringinvestive Maßnahmen, die unmittelbar CO2-Emissionen reduzieren, sollen vorrangig gefördert werden. Die Erhaltung der Baukultur und die Sicherung von Baukapazitäten sind dabei zentrale Punkte.
3. Effizienter Einsatz von Wärmepumpen bei moderater Sanierung
Moderne Wärmepumpen sind bereits effizient genug, um auch unsanierte oder moderat sanierte Gebäude zu beheizen. Die Heizflächen in den älteren Bestandsgebäuden sind in der Regel überdimensioniert und erlauben reduzierte Vorlauftemperaturen, was der Effizienz der Wärmepumpe zugutekommt. Der Fokus sollte daher auf der Einführung dieser Technologie liegen, während umfassende Sanierungen nur dann vorgenommen werden, wenn sie ökologisch und ökonomisch sinnvoll sind. Diese Maßnahme ermöglicht eine schnellere Erreichung der Klimaneutralität und reduziert gleichzeitig den Primärenergiebedarf.
4. Emissionsminderungspfad als zentrales Steuerungsinstrument
Anstelle zahlreicher Einzelvorschriften, die zu einer Vielzahl von Maßnahmen verpflichten, soll ein klarer Emissionsminderungspfad als Zielformulierung festgelegt werden. Er ist die einzige verbindliche Größe. Er gibt, wie im Klimaschutzgesetz von 2021 beschrieben, vor, wie die Gebäude ihre Emission bis 2045 reduzieren müssen. Die Emissionen bestehen dabei aus den bei der Herstellung und beim Umbau entstehenden Emissionen wie auch den beim Betrieb der Gebäude entstehenden Emissionen. Die Überwachung dieses Pfades erfolgt durch eine unabhängige Emissionsagentur, die sicherstellt, dass die Ziele eingehalten werden. Die Finanzierung erfolgt durch den Emissionshandel, dessen Einnahmen vollständig an die Bürger zurückgegeben werden.
5. Bestandserhalt und Kreislaufwirtschaft fördern
Bauvorhaben sollen zukünftig nur dann genehmigt werden, wenn sie strenge Emissionsgrenzen einhalten. Durch den Erhalt bestehender Bausubstanz kann die Freisetzung von grauen Emissionen verhindert und die Kreislaufwirtschaft auf den Weg gebracht werden. Sekundärmaterialien müssen zukünftig bevorzugt eingesetzt werden, um den Verbrauch von primären Ressourcen zu minimieren und die Abfallproduktion zu senken. Ein Absenkungspfad für den CO2-Ausstoß bei der Herstellung und dem Betrieb der Gebäude gibt Planern die Möglichkeit, innovative und emissionsarme Lösungen zu entwickeln.
Fazit: Ein gemeinsamer Weg zur Klimaneutralität
Die vorgeschlagenen Maßnahmen führen zu einer zukunftsweisenden Neuausrichtung der Gebäude- und Klimapolitik. Der Weg zur Klimaneutralität im Gebäudesektor ist anspruchsvoll, aber auf einem Praxispfad Emissionsreduktion eher machbar als auf dem Energieeffizienzpfad. Unsere Empfehlungen zeigen, dass ein solcher Wandel möglich ist und sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll umgesetzt werden kann. Der Praxispfad zur Emissionsreduktion wird am ehesten bezahlbar, sozial verträglich und wirksam sein und damit die Grundlage für einen nachhaltigen Gebäudesektor schaffen.
Wir richten unseren Aufruf an die Entscheidungsträger in der Politik: Stellen Sie Regulierungen und Förderungen konsequent auf die Reduktion von Treibhausgasemissionen ab. Geben Sie Ziele und nicht Maßnahmenkataloge vor.
Vereinfachen Sie die Regularien, schaffen Sie Raum für innovative Lösungen und gestalten Sie ein förderliches Umfeld, in dem der Gebäudesektor nachhaltige, bezahlbare und klimafreundliche Wege gehen kann.
An alle Akteure im Gebäudesektor appellieren wir: Stellen Sie sich den Herausforderungen der Zeit. Nutzen Sie die modernen Möglichkeiten der Emissionsreduktion, etwa den Einbau von Wärmepumpen und der Kreislaufwirtschaft. Fordern Sie klare, zielgerichtete Unterstützung. Nur gemeinsam können wir den Gebäudesektor zukunftsfähig und klimaneutral gestalten.
Und alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unserem und angrenzenden Forschungsbereichen ermutigen wir: Führen Sie aktiv den Diskurs mit uns und der Öffentlichkeit. Lassen Sie uns gemeinsam für den besten Weg streiten. Wir sind überzeugt, dass wir konstruktive Vorschläge für das Erreichen der Klimaziele im Gebäudesektor in Deutschland vorgelegt haben, mit denen wir unsere Zukunft in Deutschland besser gestalten können.