BGH vom 27.9.2023 (VIII ZR 88/22)
Wir hatten kürzlich (vdw aktuell 41/2023) über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Untervermietung einer Einzimmerwohnung berichtet (BGH vom 13.9.2023 ,VIII ZR 109/22). Dort hatte der BGH die Anforderungen, die an ein „berechtigtes Interesse“ des Mieters gestellt werden können, reduziert, und dem Mieter auch bei Untervermietung einer Einzimmerwohnung ein berechtigtes Interesse nach § 553 Abs.1, S.1 BGB zuerkannt. In die gleiche Richtung geht die nun veröffentlichte Entscheidung vom 27.9.2023 (VIII ZR 88/22), welche zahlreiche Einzelfragen zur Untervermietung aufgreift.
Im Fall ging es um eine aus beruflichen Gründen genutzte Nebenwohnung des Mieters. Der Mieter hatte eine etwa 73 m2 große Dreizimmerwohnung angemietet, in welcher er mit seiner Familie auch wohnte. Später zog er mit seiner Familie in eine Doppelhaushälfte, die am Stadtrand liegt und die von der Mietwohnung rund 17 Kilometer entfernt ist. Der Mieter beabsichtigte, die Wohnung aus beruflichen Gründen weiterhin zu nutzen. Er trug vor, dass er Geschäftsführer einer ortsansässigen internationalen Spedition sei, die etwa zehn Gehminuten von der Wohnung entfernt liegt. Durch die internationale Ausrichtung seiner beruflichen Tätigkeit beginne sein Arbeitstag häufig früh und ende nach längeren Pausen am Nachmittag erst nachts gegen 2 Uhr. Der Mieter trug weiter vor, dass er die Mietwohnung unterhalb der Arbeitswoche zum Ausruhen tagsüber nutze sowie dort zwei bis drei Mal wöchentlich übernachte, um sich die Fahrtzeit zwischen der Doppelhaushälfte und seiner Arbeitsstätte zu ersparen (zwar räumlich nur 20 Kilometer, jedoch Fahrtzeit mindestens 40 Minuten). In einem ersten Schritt hatte der Mieter von seinem Vermieter die Erlaubnis zur Untervermietung eines Teils der Wohnung zwar erhalten, jedoch nur befristet. Spätere Begehren des Mieters auf Zustimmung hatte der Vermieter dann abgelehnt, obwohl der Mieter zwei namentlich genannte Personen angegeben hatte. Das Amtsgericht erkannte den Anspruch des Mieters auf Zustimmung an. Das Landgericht lehnte einen Anspruch des Mieters auf Zustimmung zur Untervermietung u.a. mit der Begründung ab, dass die beabsichtigte Gebrauchsüberlassung „ausschließlich zur Erzielung von (Unter-) Mieteinnahmen erfolge, um die Kosten für die Doppelhaushälfte zu reduzieren“. Die Vorschrift des § 553 BGB diene ausschließlich dem Bestandsschutz des Mietverhältnisses, nicht aber der Erzielung von Untermieteinnahmen. Andernfalls liefe dies auf eine uferlose Anwendung des § 553 BGB, und hierdurch auf die Schaffung einer „institutionellen Erwerbsquelle“ des Wohnraummieters hinaus. Es müsse sich, so das Landgericht weiter, zudem um den Hauptwohnsitz des Mieters handeln. Auch sei der Übernachtungsturnus des Mieters zu gering. Es war noch vorgetragen worden, dass sich der Mieter in den Räumlichkeiten seiner Spedition einen „geschützten Raum“ durch Anbringung von „Raumteilern“ schaffen könnte.
Der Bundesgerichtshof folgte dem nicht und hob die Entscheidung des Landgerichts auf. Er verwies den Fall zur neuen Beurteilung zurück und stellte hierzu klar:
Das Landgericht gehe von einem zu engen Verständnis des § 553 Abs.1, S.1 BGB aus. Ein Interesse des Mieters sei schon dann anzunehmen, wenn ihm „vernünftige“ Gründe zur Seite stehen. Ein „dringendes“ Interesse, wie zur Geltung des vormaligen Mietrechts (bis zum Jahr 2001), sei gerade nicht mehr erforderlich. Es genüge ein „berechtigtes“ Interesse. Ein solches sei schon dann anzunehmen, wenn dem Mieter „vernünftige“ Gründe zur Seite stünden, die seinen Wunsch nach Überlassung eines Teils der Wohnung an Dritte nachvollziehbar erscheinen lassen. Als „berechtigt“ sei daher jedes Interesse des Mieters von „nicht ganz unerheblichem“ Gewicht anzusehen, das „mit der geltenden Rechts- und Sozialordnung in Einklang“ stehe. Hier verweist der Bundesgerichtshof auf seine Entscheidung vom 13.9.2023 (VIII ZR 109/22, zum verbleibenden Gewahrsam im Fall einer Einzimmerwohnung). Der Wunsch des Mieters nach einer Verringerung der von ihm zu tragenden Mietaufwendungen sei grundsätzlich als „berechtigtes“ Interesse im Sinne der Vorschrift des § 553 Abs.1, S.1 BGB anzuerkennen. Der Gesetzgeber habe mit der Schaffung der Norm erkennbar u.a. die Absicht verfolgt, dem Mieter eine Kostenentlastung durch eine Untervermietung zu ermöglichen. Die tatsächlichen Umstände, die das Vorliegen eines berechtigten Interesses begründen sollen, seien umfassend zu würdigen (weitere Fälle: berufsbedingte doppelte Haushaltsführung, BGH vom 23.11.2005, VIII ZR 4/05; mehrjähriger berufsbedingter Auslandsaufenthalt, BGH vom 11.06.2014, VIII ZR 349/13; Beteiligung des Untermieters an der Miete nach Auszug des bisherigen Mitbewohners, BGH vom 31.1.2018, VIII ZR 105/17).
Das Berufungsgericht habe bereits im Ausgangspunkt verkannt, dass ein berechtigtes Interesse im sinne des § 553 BGB nicht voraussetzt, dass dieses Interesse im Wesentlichen den fortdauernden Bestand eines Hauptwohnsitzes betreffe, hiermit im Zusammenhang stehe oder diesem im Gewicht gleichkommen müsse. Es seien durch § 553 BGB, so der Bundesgerichtshof weiter, keine qualitativen Anforderungen bezüglich der verbleibenden Nutzung des Wohnraums durch den Mieter aufgestellt. Neben dem berechtigten Interesse des Mieters sei entscheidend, dass der Mieter „nur einen Teil“ des Wohnraums einem Dritten überlässt. Hiervon sei regelmäßig bereits dann auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt. Es genügt dafür jedenfalls, wenn der Mieter ein Zimmer einer größeren Wohnung zurückbehält, um hierin Einrichtungsgegenstände zu lagern und/oder dieses gelegentlich zu Übernachtungszwecken (Urlaub, kurzzeitiger Aufenthalt) zu nutzen. Daher sei es nicht erforderlich, dass die Wohnung auch nach der Untervermietung Lebensmittelpunkt des Mieters bleibe. Dafür, dass der Gesetzgeber lediglich den Schutz nur eines Mietverhältnisses sicherstellen wollte, gebe es keine Anhaltspunkte oder Stütze im Gesetz. Der Zweck des § 553 BGB bestehe demnach darin, dem Mieter die Wohnung, an der er festhalten will, zu erhalten. Es bleibe dem Mieter, seinen persönlichen Vorstellungen und seiner freien Entscheidung, überlassen, wo er im herkömmlichen Sinne wohnt. Ein Mietvertrag verpflichte den Mieter nicht, seinen Lebensmittelpunkt im Sinne des Hauptwohnsitzes zu begründen.
Das Vorliegen eines berechtigten Interesses erfordere nicht, dass es dem Mieter bezogen auf die konkrete Höhe seiner Einkünfte und seines Vermögens nicht möglich sei, das Mietverhältnis auch ohne die Inanspruchnahme von Untermieteinnahmen fortzusetzen. Vielmehr reiche jedes nachvollziehbare Interesse an einer finanziellen Ersparnis aus. Die Nutzung einer Wohnung als Nebenwohnung stelle nicht nur einen „bloßen Komfortzuwachs“ dar. Der Umstand, dass der Mieter in der untervermieteten Wohnung nicht seinen Hauptwohnsitz unterhalte, stelle auch keinen Widerspruch zur „geltenden Rechts- und Sozialordnung“ dar, so der Bundesgerichtshof weiter. Die Erzielung von Untermieteinnahmen stehe auch in den Lagen eines angespannten Wohnungsmarktes einem berechtigten Interesse nicht entgegen. Hierbei handele es sich um Fragen der Wohnungspolitik oder gesellschaftlichen Diskussion.
Anmerkung
Der Bundesgerichtshof komplettiert nun mit den beiden diesjährigen „Herbst-Entscheidungen“ vom 13. 9. und vom 27.9.2023 seine schon bisher erkennbare Tendenz: Dem Mieter von Wohnraum soll es nicht schwergemacht werden, seine Wohnung unterzuvermieten. Entscheidend ist hierbei allerdings, dass es sich nur um einen „Teil“ der Wohnung handeln darf. Aber auch an die Voraussetzungen für diesen „Teil“ werden nicht allzu hohe Anforderungen gestellt, wie die Entscheidung vom 13.9.2023 zeigt (Einzimmerwohnung). Der Bundesgerichtshof erwähnt auch das in der heutigen Gesellschaft verstärkte Bedürfnis der Bewohner nach Flexibilität, beruflich, wie persönlich.
Für Wohnungsgenossenschaften dürften sich keine Erleichterungen ergeben. Denn solange der Mieter, der auch Mitglied ist, noch Gewahrsam an der Wohnung hat, „bewohnt“ er diese im Sinne der vorgenannten Ausführungen des Gerichts. Die beiden Entscheidungen dürften die Erfolgsaussichten für ein genossenschaftliches Ausschlussverfahren wegen Haltens einer Zweitwohnung weiter absenken, zumindest solange eine entsprechende Interessenlage, wie im Fall gegeben, vorliegt (regelmäßige Nutzung der Wohnung). Ein Ausschlussverfahren wegen eines definitiv vollständigen Leerstehenlassens einer Genossenschaftswohnung (sog. „Reserve-Wohnung“ oder „Ferienwohnung“), insbesondere in einem Gebiet mit erheblichem allgemeinen Wohnraumbedarf und bei einem Versorgungsbedarf anderer Genossenschaftsmitglieder, dürfte aber nach wie vor Aussichten auf Erfolg haben, insbesondere, falls eine entsprechende Satzungsregelung vorhanden ist.