Urteil des OLG Braunschweig vom 14.7.2022, Az. 8 U 166/21
Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn denn sein böser Nachbar es nicht will. Und bei baulichen Veränderungen müssen dann gelegentlich Gerichte darüber befinden, wer denn eigentlich der „böse“ Nachbar ist – derjenige, welcher im Sinne einer baulichen Aufwertung seiner Immobilie in die Gebäudesubstanz eingreift oder derjenige, welcher dies zu verhindern sucht, So auch im Falle der Errichtung einer Aufdach-Photovoltaikanlage in Niedersachsen.
I. Sachverhalt
Die Beklagte hatte auf dem Dach eines Wohngebäudes in Richtung des benachbarten Wohnhauses der Klägerin Paneele einer Photovoltaikanlage und (neben bereits bestehenden) ein weiteres Dachfenster montieren lassen. Der Streit geht über die Zulässigkeit des Umfanges und der Intensität der von diesen Bauteilen ausgehenden Sonnenlichtspiegelungen. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, die Klägerin hat Berufung beim OLG Braunschweig eingelegt und beantragt, dass die Beklagten verurteilt werden, die von der Solaranlage und dem Dachflächenfenster auf dem Nachbargebäude ausgehende unzumutbare Sonnen-Blendwirkung zu verhindern, soweit das Wohnhaus der Klägerin betroffen ist.
II. Aus den Gründen
Das OLG entschied, dass die Berufung keinen Erfolg hat, da der Klägerin kein Anspruch auf Beseitigung der von der Photovoltaikanlage und dem streitgegenständlichen Dachfenster auf dem Haus der Beklagten ausgehenden Reflexionen aus § 1004 BGB i.V.m §§ 903, 906 Abs. 1 BGB zusteht.
Das Eigentum der Klägerin wird zwar durch die Reflexionen grds. i.S.v. § 1004 Abs.1 BGB beeinträchtigt. Eine Eigentumsbeeinträchtigung meint jeden dem Inhalt des Eigentums (§ 903 BGB) widersprechenden Zustand bzw. jede von außen kommende Einwirkung auf die Sache. Lichtreflexe beeinträchtigen die Nutzung des Eigentums. Es handelt sich auch nicht um „Natureinwirkungen“, die keine Haftung des Zustandsstörers begründen können. Denn ursächlich für die Einwirkungen ist zwar auch das Sonnenlicht, aber nur im Zusammenhang mit den Reflexionswirkungen, die durch die Solaranlage und das streitgegenständliche Fenster auf dem Hausdach der Beklagten verursacht werden.
Die Beeinträchtigung durch die Reflexionen ist jedoch nicht wesentlich i.S.v. § 906 Abs.1 S.1 BGB, mit der Folge, dass ein Beseitigungsanspruch gem. § 1004 BGB ausgeschlossen ist. Nach § 906 Abs.1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.
Maßstab für die Frage, ob eine Beeinträchtigung noch unwesentlich oder bereits wesentlich ist, ist das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was ihm unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist. Demnach liegt hier keine wesentliche Beeinträchtigung vor:
In Gesetzen oder Verordnungen festgelegte verbindliche Richtwerte i. S. v § 906 Abs.1 S. 2 BGB, deren Überschreitung eine wesentliche Beeinträchtigung indizieren würde, bestehen für Reflexionen durch Sonneneinstrahlung nicht. Das BImschG (Bundesimmissionsschutzgesetz) selbst enthält keine Regelungen zu derartigen Lichtimmissionen. Auch sind nach § 48 BImschG keine allgemeinen Verwaltungsvorschriften bezogen auf die Grenzwerte für die Zumutbarkeit von Lichtimmissionen erlassen worden. Grenzwerte für Sonnenlichtreflexionen oder sonstige Tageslichtimmissionen gibt es auch nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht. Derartige Werte sind auch nicht in der von der Klägerin in Bezug genommenen DIN EN 12665 „Licht und Beleuchtung – Grundlegende Begriffe und Kriterien für die Festlegung von Anforderungen an die Beleuchtung“ aufgeführt.
Zutreffend hat das Landgericht nach diesen Grundsätzen und unter Berücksichtigung der festgestellten Lichtimmissionen eine nicht wesentliche Beeinträchtigung festgestellt. Denn nach den schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen im Verfahren ist davon auszugehen, dass Sonneneinwirkungen durch Reflexionen in den Wohnräumlichkeiten der Klägerin lediglich über ca. 30 Tage im April/Mai und ca. 30 Tage im August/September an unter 20 Stunden pro Jahr zu Tageszeiten zwischen 16 und 18 Uhr möglich sind. In dieser Zeit können kurzzeitig einige Reflexionen auftreten. Rein rechnerisch ist die jeweilige Reflexion innerhalb von Minuten (ca. 10 – 15 Minuten) beendet.
Unter Berücksichtigung der dargestellten Ausprägung der Reflexionen und deren Dauer in dem Aufhellungszeitraum liegt keine wesentliche Beeinträchtigung vor.
III. Anmerkung
Damit lässt sich für die Praxis generell festhalten:
- Im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BGB liegt regelmäßig eine unwesentliche Beeinträchtigung vor, wenn die in Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften festgelegten Grenz- und Richtwerte eingehalten sind.
- Sind für Beeinträchtigungen keine Grenz- oder Richtwerte definiert, so ist der Sachverhalt anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Für die Beurteilung, wann Reflexionen der Sonneneinstrahlung durch Photovoltaikanlagen auf einem Hausdach die Schwelle zur Wesentlichkeit überschreiten, ist auf die regelmäßige Dauer der Blendwirkung, die Intensität der Lichtreflexe und die konkreten Auswirkungen auf die Nutzung des Nachbargrundstücks abzustellen.