Am 7. Oktober 2019 wurde die Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden – kurz: Whistleblower-Richtlinie) vom Rat der Europäischen Union verabschiedet. Bis zum 17. Dezember 2021 hätte Deutschland diese in nationales Recht umsetzen müssen. In Deutschland wurde allerdings kein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Ein erster Entwurf scheiterte in der vergangenen Legislaturperiode an Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Großen Koalition. Die neue Bundesregierung gibt in ihrem Koalitionsvertrag zu erkennen, dass sie sich der nationalen Umsetzungspflicht bewusst ist. Die Koalitionäre teilen in ihrem Vertrag mit, dass sie eine überschießende Umsetzung (d.h. inhaltlich über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinausgehend) beabsichtigen.
Inhalte der EU-Whistleblower-Richtlinie
Die Whistleblower-Richtlinie garantiert künftig einerseits Hinweisgebern, sogenannten Whistleblowern, die Verstöße gegen EU-Recht melden wollen, mehr Schutz und verpflichtet andererseits öffentliche und private Organisationen sowie Behörden dazu, sichere Kanäle für die Meldung von Missständen einzurichten. Gemäß der Whistleblower-Richtlinie werden Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern (Nationalstaaten können die Schwelle jedoch auf bis zu 250 Mitarbeiter anheben) sowie alle Behörden und Kommunen (auch hier kann die Schwelle durch nationale Umsetzung auf Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern angehoben werden) verpflichtet.
Die europäische Richtlinie sieht vor, dass Personen geschützt werden, die Verstöße gegen das Unionsrecht in bestimmten Bereichen melden – etwa, wenn es um öffentliche Aufträge, Finanzdienstleistungen, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Lebensmittel, öffentliche Gesundheit, Verbraucher- und Datenschutz geht. Auf Seite 111 des Koalitionsvertrages führen die
Koalitionsparteien aus, dass sie Hinweisgeber nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor Repressalien schützen wollen, sondern auch bei einer Meldung von Verstößen gegen nationales Recht.
Neben Arbeitnehmern (und Beamten) fallen auch Lieferanten und Auftragnehmer (inkl. deren Beschäftigten) sowie Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören (also z. B. Geschäftsführer einer GmbH, Vorstände einer eG, Aufsichtsräte etc.) in ihren Anwendungsbereich. Dies bedeutet, dass sich auch unternehmensfremde Personen, die Betriebsinterna durch ihre berufliche Zusammenarbeit mit einem Unternehmen erfahren, auf den Schutz der Whistleblower-Richtlinie berufen können.
Gemäß Art. 9 der Whistleblower-Richtlinie müssen die Meldekanäle eine Meldung in schriftlicher, mündlicher oder persönlicher (physische Zusammenkunft) Form ermöglichen. Jegliche übermittelte Information bedarf der Dokumentation in schriftlicher Form oder durch die Erstellung einer Tonaufzeichnung in dauerhafter und abrufbarer Form, jedoch muss nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff darauf verwehrt bleiben.
Was droht bei Nichterfüllung?
Laut Whistleblower-Richtlinie haben Unternehmen, die einen Hinweisgeber an einer Meldung behindern oder sich andere Verstöße zuschulden kommen lassen, mit Sanktionen zu rechnen. Wie hoch diese Sanktionen in Deutschland ausfallen werden, ist noch offen und Sache des deutschen Gesetzgebers.
Für wen gilt die Whistleblower-Richtlinie und ab wann?
Vor Erlass des Umsetzungsgesetzes gelten sämtliche Verpflichtungen nicht für privatwirtschaftliche Unternehmen, die nicht dem öffentlichen Sektor zuzurechnen sind. Anders sieht es für juristische Personen des öffentlichen Sektors aus. Die Einrichtungspflicht für juristische Personen des öffentlichen Sektors wirkt seit dem 18. Dezember 2021 unmittelbar. Zwar sieht Art. 8 Abs. 9 S. 2 der Whistleblower-Richtlinie eine Abweichungsmöglichkeit für Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohnern oder sonstige staatliche Stellen mit weniger als 50 Arbeitnehmern vor. Diese Ausnahme kann allerdings erst über ein Umsetzungsgesetz des deutschen Gesetzgebers greifen, sie gilt bisher also nicht.
Artikel 8 Abs. 9 der Whistleblower-Richtlinie normiert in diesem Zusammenhang; Absatz 1 gilt für alle juristischen Personen des öffentlichen Sektors, einschließlich Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer solchen juristischen Person stehen. Die Whistleblower-Richtlinie enthält keine weiteren Auslegungshinweise, wer hierunter fällt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass kommunale Unternehmen bereits jetzt an die Richtlinie gebunden sind. Alle juristische Personen des öffentlichen Sektors müssen deshalb nach aktueller Rechtslage eigene interne Hinweisgeber-Systeme vorhalten.
Was ist aktuell zu beachten?
Da zu erwarten ist, dass die Umsetzung in den nächsten Monaten wieder Fahrt aufnimmt, ist allen Unternehmen, also neben den kommunalen Unternehmen auch den kirchlichen und privatwirtschaftlichen und ebenso den Genossenschaften eine Auseinandersetzung mit dem Thema bereits zum jetzigen Zeitpunkt anzuraten.
Der VdW Bayern sondiert derzeit die technischen und fachlichen Anforderungen, um unsere Mitgliedsunternehmen bei der Umsetzung sachgerecht zu unterstützen. In Betracht kommende Optionen sind die Bereitstellung eines internen Meldekanals durch den VdW Bayern bzw. die Kooperation mit einem externen Anbieter. Aufgrund der immer noch nicht abschließend geklärten nationalen Rechtslage und somit von Art und Umfang der erforderlichen Maßnahmen ist die Sondierung noch nicht abgeschlossen. Wir halten Sie aber auf jeden Fall auf dem Laufendem.
Kontakt:
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Dr. Julia Betz, Rechtsanwältin
(julia.betz@vdwbayern.de; Tel.: 089 290020 422 oder
Andreas Gissendorf, Rechtsanwalt
(andreas.gissendorf@vdwbayern.de, Tel.: 089 290020-435).