Kommentar von Dietmar Walberg

Die Wohnungswirtschaft in Deutschland investiert aktuell bis zu 40 Milliarden Euro pro Jahr für die energetische Ertüchtigung des Wohngebäudebestands. Seit dem Jahr 1990 hat der Gebäudesektor damit erhebliches zum Klimaschutz beigetragen und ca. 43% Treibhausgase eingespart. Das bundesdeutsche Klimaschutzgesetz sieht nun ein ähnliches Einsparziel, allerdings bereits bis zum Jahr 2030 – also in nur noch neun Jahren – vor. Es ist damit von erheblicher Bedeutung, sich Gedanken über den richtigen Weg der Maßnahmen zu machen, um nicht Gefahr zu laufen, gigantische volkswirtschaftliche Fehlallokationen einzuleiten.

Mit den bezifferten Gesamtinvestitionen im Bereich Gebäudemodernisierung werden pro Jahr zwischen 4-6% aller Wohngebäude energetisch verbessert. Ca. 5% dieser Maßnahmen sind Vollmodernisierungen, 95% sind Teilmodernisierungen. Diese unterschiedlichen Qualitäten lassen sich auch den Eigentümergruppen zuordnen: Vollmodernisierungen können im Wesentlichen der gewerblichen Wohnungswirtschaft zugeordnet werden, wohingegen die Teilmodernisierungen im Bereich der privaten Eigentümerschaft, der Selbstnutzer und auch der privaten Vermieterinnen und Vermieter geleistet werden.

Der bewertete Erfolg dieser energetischen Modernisierungen führt zu einer sogenannten Vollmodernisierungsäquivalente, also der viel zitierten Sanierungsrate, die damit bei ca. einem Prozent pro Jahr liegt. Mit Sanierungsraten im Bereich der gewerblichen Wohnungswirtschaft, die häufig deutlich über ein Prozent liegen, respektive in den letzten Jahren bereits erfolgten, gehört die gewerbliche Wohnungswirtschaft zu einem der Motoren der Energiewende in Deutschland. Diesen Prozess noch weiter anzuheizen, dürfte sich als schwierig erweisen. Die Logik sowohl des Ordnungsrechtes als auch der Förderpolitik – insbesondere durch die KfW – fokussierte sich bislang immer auf die Optimierung des Einzelgebäudes, also die sogenannte Energieeffizienz. Das wäre im Prinzip auch richtig, hätten wir (deutlich) mehr Zeit und würden die gebauten oder modernisierten Gebäude in der Realität mit den berechneten Werten in Einklang zu bringen sein. Weiter auf einseitige Überoptimierung der Gebäude zu setzten, bis hin, wie in einigen Studien dieser Tage zu finden ist, einem Effizienzhaus-55-Standard als Median im Gebäudebestand als Zielstandard zu erreichen, ist ganz klar nicht zielführend. Letzt genannten Energiestandard im Gebäudebereich zu realisieren würde bedeuten, die momentanen Modernisierungsaktivitäten zu veracht- bis verneunfachen. Angesichts der momentanen Auslastung der Baukapazitäten sowie der sich entwickelnden Materialpreise und Materialieferbedingungen sind dies unrealistische Zielvorstellungen. Auch eine Verdoppelung der Gebäudemodernisierung wird noch eine große Herausforderung darstellen. Aus der Analyse des Machbaren ist davon auszugehen, dass der mittlere Gebäudestandard im Jahr 2045 bei Nutzung aller Ressourcen und technischen Möglichkeiten in etwa dem eines Effizienzhaus 115 entspricht. Auf diesen Standard müssen wir also die Energieversorgung auslegen, um Klimaneutralität durch dekarbonisierte Energieträger zu realisieren.

Weiterhin auf eine Überoptimierung der Einzelgebäude – sowohl beim Neubau als auch der Bestandsanierung – zu setzen, bedeutet, zunehmende technische Komplexität mit abnehmender Fehlertoleranz und damit nachgewiesenermaßen steigende Schadenshäufigkeit und erhöhten Instandhaltungsaufwand in Kauf zu nehmen und gleichzeitig die tatsächlichen Herausforderungen des Klimaschutzes nicht ernst zu nehmen.

Um einen tatsächlich klimaneutralen Zielpfad für den Gebäudesektor zu beschreiten, gilt es sofort verschiedene Maßnahmen einzuleiten:

  1. Komplette Umstellung der Fördersystematik der KfW auf CO2-Einsparung, um technologieoffen alle vorhandenen technischen Potenziale abzurufen.
  2.  Ermöglichen von Quartierslösungen, Gebäude im Zusammenhang zu planen und zu versorgen sowie Flottenlösungen für die Wohnungswirtschaft ordnungsrechtlich und fördertechnisch zu ermöglichen.
  3. Keine Anhebung von ordnungsrechtlichen Standards, weil diese keinen Mehrwert bieten, notwendiges Investitionskapital binden und innovative Lösungen wie zum Beispiel Quartiersansätze verhindern.
  4. Förderung von niedrigschwelligen Maßnahmen, die unmittelbar und kurzfristig im Verbrauchsbereich ansetzen: Installation von elektronischen Thermostaten, Durchführung von hydraulischen Abgleichen, Einbau neuer Heizungspumpen, Kopplung von Fensteröffnungen und Heizungseinstellungen etc. – auch und gerade in nur mäßig modernisierten Beständen, weil dies schnell zu überproportionalen CO2-Einspareffekten führt.
  5. Forcierung von kommunalen Wärmeplanungen, die der Planung und Modernisierungsumsetzung an Einzelgebäuden vorangestellt sein müssen. Bei der Wärmeplanung sollte dabei insbesondere die Rolle der Kommunen als Moderator für die Realisierung von Skaleneffekten für die privaten Eigentümer und damit auch für eine höhere Effizienz der Teilsanierungen gefragt sein.
  6. Überprüfung der Einführung von regionalen CO2-Zertifikatehandelssystemen, die an den ökonomischen und technischen Rahmenbedingungen wohnungswirtschaftlicher Gegebenheiten orientiert sind, um Solidaritätsmodelle innerhalb der unterschiedlichen Akteursgruppen auszulösen und (zum Beispiel) innovative Energieversorgungen auch für private Eigentümer zu ermöglichen.
  7. Sofortige Einrichtung eines dauerhaften Runden Tischs mit allen Akteuren des wohnungswirtschaftlichen Bereichs, um die Auswirkungen auf die Wohnungsmärkte, bezahlbaren Wohnraum, Baukosten und Miethöhen zu beobachten und Förderungen und Rahmenbedingungen flexibel konsensual anzupassen.

Die Quintessenz aus der realistischen Analyse des Marktgeschehens und der Modernisierungsstrategien im Wohnungsbau, zeigen eindeutig, dass sofort die Abkehr von einer einseitigen Effizienzhaus-Überoptimierung hin zur Förderung niedrigschwelliger und gebäudeübergreifender Planungen gefordert ist. Die
Effizienz der Vollmodernisierung muss nicht weiter gesteigert werden, sondern die Effizienz der Teilmodernisierungen muss verbessert werden, gleichzeitig muss die Technologieoffenheit gewährleistet sein und eine Abstimmung innerhalb und mit kommunalen Wärmestrategien dringend erfolgen. Ohne die vorstehend beschriebene Mehrgleisigkeit wird die Transformation der 43 Millionen Wohnungen in Deutschland in einen klimaneutralen Betrieb – innerhalb der nächsten 24 Jahre aus unserer fachlichen Sicht eher scheitern.

Der Autor ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. in Kiel

Foto: Ökologische Mustersiedlung im Prinz Eugen Park, München