Bayern hat – wie andere Bundesländer auch – in § 46a AGBGB landesrechtlich eine Regelung für eine nachträgliche grenzüberschreitende Wärmedämmung getroffen, welche vorsieht, dass Nachbarn den Überbau dulden müssen. Der V. Zivilsenats des BGH hatte nun in einem kürzlich ergangenen Revisionsurteil für einen Fall aus Nordrhein-Westfalen (NRW) zu klären, ob landesrechtliche Regelungen, die eine grenzüberschreitende nachträgliche Wärmedämmung von Bestandsbauten erlauben, mit dem Grundgesetz vereinbar sind (BGH, Urt. v. 12.11.2021 – V ZR 115/20). Insoweit hat der BGH die Gesetzgebungskompetenz der Länder bestätigt und das Verhältnis zum Überbaurecht nach § 912 BGB geklärt. Soweit nur unwesentliche Beeinträchtigen und ein finanzieller Ausgleich vorgesehen sind, sind solche Regelungen auch verhältnismäßig.
Zum Sachverhalt:
Parteien des Rechtsstreits sind benachbarte Eigentümer von Grundstücken in NRW. Diese sind jeweils mit vermieteten Mehrfamilienhäusern bebaut. Die Giebelwand des vor mehreren Jahrzehnten errichteten Gebäudes der Klägerin steht direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, während sich das Gebäude der Beklagten etwa 5 Meter von der Grenze entfernt befindet. Gestützt auf die Behauptung, eine Innendämmung ihres Gebäudes könne nicht mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden, verlangte die Klägerin von den Beklagten, die grenzüberschreitende Außendämmung der Giebelwand ihres Gebäudes gemäß
§ 23a NachbG NW zu dulden.
Das Amtsgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme stattgegeben, nachdem es – von den Parteien auch in den Folgeinstanzen unbeanstandet – festgestellt hatte, dass die § 23a Abs. 1 NachbarG NW genannten Voraussetzungen für die Duldungspflicht in der Sache vorliegen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage wegen verfassungsrechtlicher Vorbehalte abgewiesen, wogegen sich die Klägerin mit der Revision wandte. Der BGH hat der Revision stattgegeben.
Aus den Gründen:
Der BGH ist zu dem Ergebnis gelangt, dass In formeller Hinsicht kein Verstoß gegen Verfassungsrecht vorliegt. Auch in materieller Hinsicht bewertet der BGH § 23a NachbarG NW als verfassungsgemäß – was deutliche Rückschlüsse auf die materielle Rechtmäßigkeit der Norm in Bayern zulässt. Diese lautet wie folgt:
Art. 46 a
Überbau durch Wärmedämmung
(1) Der Eigentümer und der Nutzungsberechtigte eines Grundstücks haben zu dulden, dass die auf einer vorhandenen Grenzmauer oder Kommunmauer nachträglich aufgebrachte Wärmedämmung und sonstige mit ihr in Zusammenhang stehende untergeordnete Bauteile auf das Grundstück übergreifen, soweit und solange
1. diese die Benutzung des Grundstücks nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen und eine zulässige beabsichtigte Nutzung des Grundstücks nicht behindern,
2. die übergreifenden Bauteile öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widersprechen und
3. eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise als durch eine Außendämmung mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann.
§ 912 Abs. 2 und §§ 913, 914 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend.
(2) Der Eigentümer und jeder Nutzungsberechtigte des überbauten Grundstücks können verlangen, dass der Eigentümer des durch den Wärmeschutzüberbau begünstigten Grundstücks die Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen Zustand erhält.
(3) Schaden, der dem Eigentümer oder Nutzungsberechtigten des Grundstücks durch einen Überbau nach Abs. 1 entsteht, ist von dem Veranlasser des Überbaus ohne Rücksicht auf Verschulden zu ersetzen.
Formelle Voraussetzungen
In formeller Hinsicht durfte der Bayrische Gesetzgeber entsprechend den Ausführungen des BGH eine landesrechtliche Regelung treffen. Im Bereich des Nachbarrechts ist bundesgesetzlich in § 912 BGB festgelegt, unter welchen Voraussetzungen ein rechtswidriger Überbau auf das Nachbargrundstück im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes geduldet werden muss. Aus der Norm folgt, dass ein vorsätzlicher Überbau vom Grundsatz her nicht hingenommen werden muss. Gleichzeitig erlaubt der in Art. 124 EGBGB enthaltene Regelungsvorbehalt zu Gunsten der Länder (vgl. dazu Art. 1 Abs. 2 EGBGB) jedoch, das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn noch „anderen“ als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Beschränkungen zu unterwerfen. Im Sinne einer „anderen“ Beschränkung können die Landesgesetzgeber daher vergleichbare nachbarrechtliche Regelungen wie die des Bundes für dieselbe Rechtsfolge anordnen, wenn die Beschränkung einem anderen Regelungszweck dient und an einen anderen Tatbestand anknüpft. Zugleich muss dabei die Grundkonzeption des Bundesgesetzes gewahrt bleiben.
Genau dies ist hier der Fall. Vom Grundsatz her ändert sich durch Art. 46a AGBGB nichts daran, dass Neubauten so zu planen sind, dass sich die Wärmedämmung in den Grenzen des eigenen Grundstücks befindet. Die landesrechtliche Regelung bezieht sich hingegen tatbestandlich auf eine spezifische bauliche Situation, die sich von der in § 912 BGB geregelten Errichtung des Gebäudes in einem entscheidenden Punkt unterscheidet. Denn die landesrechtliche Norm setzt voraus, dass die Dämmung eines an der Grenze errichteten Gebäudes erst nachträglich erforderlich wird, und zwar durch neue öffentlich-rechtliche Zielvorgaben oder jedenfalls durch die Veränderung allgemein üblicher Standards infolge der bautechnischen Fortentwicklung.
Materiell rechtliche Voraussetzungen
Nach unserer Einschätzung hat der Bayrische Landesgesetzgeber wie in NRW auch in materiell rechtlicher Hinsicht den ihm bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) zustehenden Gestaltungsspielraum eingehalten, indem er differenzierte Vorgaben zu Inhalt und Grenzen der Duldungspflicht vorgesehen hat.
Nachdem für die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks erforderlich ist, dass eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann, sollte auch die bayrische Regelung verhältnismäßig sein. Dies zumal die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne dadurch gewahrt wird, dass die Überbauung die Benutzung des Nachbargrundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen darf und ein finanzieller Ausgleich erfolgen muss – was über einen Verweis auf die §§ 912 ff BGB geregelt ist. Darüber hinaus kann der Eigentümer des durch den Wärmeschutzüberbau betroffenen Grundstücks verlangen, dass sein Nachbar die Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen Zustand erhält.
Fazit
Das Revisionsurteil schafft Rechtssicherheit für die energetische Sanierung auch in Bayern. Sofern eine erforderliche Nachdämmung auf dem eigenen Grundstück nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist, darf eine nachträglich errichtete Wärmedämmung auf das Nachbargrundstück hinüber ragen, sofern sie das Nachbargrundstück nur unwesentlich beeinträchtigt – was Frage des Einzelfalles ist. Den Nachteil hat das energetisch sanierende Unternehmen dann allerdings gem. § 913 BGB angemessen durch eine jährlich im Voraus zu entrichtende „Überbaurente“ auszugleichen. Diese ist – so der BGH in einem Urteil aus dem Jahr 2018 (BGH, Urteil vom 12.10.2018 – V ZR 81/18) – anhand des Verkehrswertes im Zeitpunkt der Grenzüberschreitung zu berechnen. Für nähere Auskünfte zu technischen Umsetzung einer nachtäglichen Wärmedämmung steht ihnen Herr Sören Gruhl von der VdW Bayern Treuhand unter 089/290020-214 zur Verfügung.