Der Wohnungsmarkt in Bayern ist spätestens seit 2014 in allen Universitätsstädten und zunehmend auch in Mittel- und Kleinstädten sehr angespannt. Viele Menschen haben Probleme, ein passendes Zuhause zu finden. Die schwierige Situation hat einen regelrechten Gründungsboom von Wohnungsgenossenschaften ausgelöst. Seit dem Jahr 2015 wurden 32 Genossenschaften in den VdW Bayern aufgenommen und dieser Trend ist ungebrochen. Dabei kommt die bewährte genossenschaftliche Tugend der Selbsthilfe zum Tragen. Engagierte Menschen übernehmen Initiative und sorgen für gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungen.

Wer steht hinter den Neugründungen? Am Beispiel der jungen Augsburger Wohnungsgenossenschaft WOGENAU soll der lange Weg von der Vision, über den Gründungsprozess bis zum ersten Projekt aufgezeigt werden.

Los ging es beim Augsburger Friedensfest 2018 an dessen Programm sich die heutige Gruppe der WOGENAU-Gründer unter dem Motto „Wolkenkuckucksheim für alle – das utopische Wohnlabor“ beteiligte. Der damalige Untertitel lautete „Initiative Genossenschaften. Gründung nicht ausgeschlossen!“ Wie möchten wir wohnen? Wo ist der Raum, um Bedürfnisse zu verwirklichen und wie soll das gehen, wenn Haus und Boden scheinbar unerreichbar verhandelt werden? – mit diesen zentralen Fragen setzten sich die Teilnehmer der vielen Workshops auseinander. Dabei wurde klar, wer anders wohnen möchte, muss sich dafür einsetzen. Und um mehr und nachhaltigere Möglichkeiten zu haben, muss man dies gemeinsam tun. „Vom enormen Interesse an einer partizipativen genossenschaftlichen Wohnform waren wir regelrecht überrascht. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass unser geplantes Gemeinschaftsprojekt das erste dieser Art in Augsburg ist“, erinnert sich Gründungsvorständin Dr. Hilde Strobl. Hinzu komme die zunehmend angespannte Situation am Augsburger Wohnungsmarkt. Der Druck hat sich für viele Wohnungssuchende deutlich erhöht. Da liegt es nahe, das Geschick in die eigene Hand zunehmen.
Im Nachgang des Friedensfestes hat sich eine Gruppe gründungswilliger Genossen in kleinerer und größerer Runde regelmäßig getroffen und intensiv an den notwendigen Vorbereitungen gearbeitet und die Gründung auf den Weg gebracht. In sehr vielen Sitzungen und Gesprächen, in Workshops und Recherchen wurden die umfangreichen Vorbereitungen zur Gründung einer Baugenossenschaft getroffen. Die Gruppe hat Paragrafen gewälzt und eine Satzung erarbeitet, sich mit Verbänden, Gründungsexperten, Politikern, Vertretern der Stadtverwaltung Augsburg, Genossenschaften und Banken ausgetauscht, Informationen gesammelt, Ideen entwickelt, Strategien diskutiert, Möglichkeiten abgewogen, Namen, Organisationsformen und öffentliches Erscheinungsbild debattiert – und Entscheidungen getroffen. Dabei kam es den Gründern zu Gute, dass sie seit Jahren in engem Austausch mit anderen Genossenschaften standen und auch in der Stadt Augsburg sehr gut vernetzt sind. „So hatten wir für alle offenen Fragen schnell den richtigen Ansprechpartner“, sagt Dr. Strobl.

Am 22. September 2019 war es dann endlich soweit: Die Initiatoren konnten zur Gründungsversammlung der WOGENAU einladen. Etwa 50 Augsburgerinnen und Augsburger kamen zu diesem denkwürdigen Ereignis. Und 26 der anwesenden Gäste wurden gleich an diesem Abend Gründungsmitglieder.

Eines dieser Gründungsmitglieder ist Rainer Beyer, Vorstand der Siedlungsgenossenschaft Augsburg-Firnhaberau. Ihm geht es dabei nicht darum, eine der geplanten Wohnungen zu bekommen, sondern vielmehr um die genossenschaftliche Solidarität. „Als langjähriger Vorstand einer Genossenschaft, Mitglied des VdW Bayern-Verbandsrates und des Fachausschusses Wohnungsgenossenschaften möchte ich gerne mein Fachwissen in diese junge Genossenschaft einbringen und sie auf dem Weg zum ersten Bauprojekt unterstützen. Die Mitgliederentwicklung und das Engagement der Mitglieder sind beeindruckend“, sagt Rainer Beyer.

Danach ging alles ganz schnell. Schon im Herbst 2019 wurden die Unterlagen für die Eintragung ins Genossenschaftsregister zusammengestellt und übergeben. Der in der Gründungsversammlung gewählte Vorstand, der Aufsichtsrat sowie die Kommunikationsabteilung widmeten sich zahlreichen Aufgaben. Im November 2019 hat der VdW Bayern als gesetzlicher Prüfungsverband die WOGENAU als Mitglied aufgenommen. Die Eintragung der WOGENAU ins Genossenschaftsregister erfolgte am 20.3.2020. Mit Stand Ende April 2021 hat die junge Genossenschaft 112 Mitglieder.

Sinn und Zweck der WOGENAU

Im Rahmen des Gründungsprozesses haben die Genossenschaftsmitglieder ihren Sinn und Zweck intensiv diskutiert und ausgearbeitet. Die WOGENAU ist eine Wohnbaugenossenschaft in Augsburg, die an die historische und hundertjährige Tradition der Bestandsgenossenschaften der Stadt anknüpft. Ein wichtiger Aspekt der Genossenschaftsinitiative ist, Grund und Boden dem Kapitalmarkt zu entziehen – insbesondere in einer Zeit explodierender Bodenpreise und rarer städtischer Grundstücke.

Bunte Bewohnerschaft im Wandel: Die WOGENAU nimmt sich zum Ziel, an den Bedürfnissen der Bewohner*innen der Genossenschaft als Mikrokosmos der Stadtgesellschaft anzusetzen. Das bedeutet: Die Genossenschaft plant für Jung und Alt, für große Familien und Einpersonenhaushalte, für Studierende, Menschen mit Aufenthaltsgenehmigung und alleinstehende Rentner*innen – für Menschen, deren Leben nicht statisch ist, sondern sich verändert. Demnach wird das Wohnungsangebot verschiedene Wohnungsgrößen beinhalten sowie flexible „Flexräume“ anbieten, die bei Bedarf zugemietet werden können.

Die WOGENAU nimmt sich zum Ziel, gut durchdachte Wohnungsgrundrisse zu entwickeln, um den privaten Wohnungsbedarf zu reduzieren. Damit einher gehen traditionelle Lösungen wie die Schaffung von Stauräumen sowie die grundsätzliche Reduktion von Besitz teilbarer Objekte des Alltags.

Umsetzung der Ziele durch Selbstverwaltung, Partizipation und Solidarität

Das konkrete Nutzungskonzept und die bauliche Umsetzung werden mit den Bewohner*innen in partizipativen Prozessen ermittelt und dann als Maßnahmenkatalog für den Raumplan den Architekten vorgelegt. Im vorher festgelegten Rahmen wird die bauliche Umsetzung in wechselnden Austausch mit den Planern und den Bewohnern entwickelt.

Um diesem partizipativen Ansatz gerecht zu werden, hat WOGENAU bereits das passende Architekturbüro gefunden. Das Wiener Büro einzueins architektur steht für eine demokratische und kooperative Arbeitsweise für gemeinschaftliche Unternehmungen und hat bereits Erfahrungen mit innovativen genossenschaftlichen Wohnprojekten. Jetzt fehlt nur noch das passende Grundstück und der Traum kann in Erfüllung gehen.

Wie geht es weiter?

Die WOGENAU bewirbt sich offiziell auf ein Grundstück der Stadt Augsburg am Sheridan-Park, das in Konzeptvergabe vergeben wird. Auf dem Areal könnte sie eine Wohnanlage mit 46 Wohnungen errichten. Ausreichend interessierte Mitglieder gibt es bereits.

Parallel sucht die Genossenschaft auch nach Bestandsbauten und weiteren Grundstücken. Die Konversionsfläche am Reese-Park wäre eine weitere interessante Option.

Denn langfristig möchte die WOGENAU mehrere Projekte realisieren – sei es Neubau oder Bestand. „Bei der Gründung der WOGENAU ging es nicht darum, nur für uns selbst gute Wohnungen zu organisieren. Wir glauben an das Genossenschaftsmodell und das Potenzial der Rechtsform“, betont Vorständin Dr. Hilde Strobl.