OLG Naumburg, Beschluss vom 6.11.2020 (5 Wx 9/20)

Im März dieses Jahres hatte der Bundesgesetzgeber zahlreiche besondere Regelungen für die verschiedenen Rechtsformen von Unternehmen erlassen, welche Erleichterungen für deren inneren Geschäftsgang, insbesondere für die Regularien in den Gremien des Unternehmens, bewirken sollten. Diese Regeln haben sich in diesem Jahr besonders für Genossenschaften als sehr hilfreich erwiesen. Wie wir berichteten, sind die Sonderregelungen des Pandemie-Maßnahmengesetzes jedenfalls sehr gut gemeint, und durchaus auch gut gemacht. Allerdings ist es angesichts der Komplexität der genossenschaftsrechtlichen Materie und auch vor dem Hintergrund der dringenden Eilbedürftigkeit in der Anfangsphase der Pandemie im März 2020 weder verwunderlich, noch dem Gesetzgeber vorwerfbar, dass sich hierzu geradezu zwangsläufig zahlreiche neue Rechtsfragen ergeben, und zwar aus den Sondervorschriften selbst, jedoch auch im Zusammenspiel mit dem Genossenschaftsgesetz und den in der Praxis verwendeten Satzungsregelungen. Inzwischen ist zu einer solchen Rechtsfrage eine erste Entscheidung ergangen.

Der zugrundeliegende Streitfall betraf das Eintragungsverfahren beim Registergericht. In einer Wohnungsgenossenschaft war ein Mitglied des Vorstands vom Aufsichtsrat vorläufig seines Amtes enthoben worden. Auch diese vorläufige Amtsenthebung muss im Register zur Eintragung angemeldet werden. Hierzu bedarf es des Handelns der vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder. Der Vorstand bestand jedoch nur aus zwei Mitgliedern. Durch die Amtsenthebung des einen Vorstandsmitglieds verblieb es bei nur noch einer Person im Vorstand. Einen Prokuristen gab es nicht. Einzelvertretungsmacht war in der Satzung nicht vorgesehen. Das Registergericht lehnte die Austragung des abberufenen Vorstandsmitglieds mit der Begründung ab, dass nach Gesetz und Satzungslage nur ein Vorstandsmitglied die Genossenschaft nicht wirksam vertreten könne. Der Hinweis der Genossenschaft, dass es die Sonderregelung in Art.2 § 3 Abs.5 S.2 Pandemie-Maßnahmengesetz erlaube, nicht nur die in der Satzung festgelegte Anzahl von Vorstandsmitgliedern unterschreiten zu dürfen, sondern auch die gesetzlich angeordnete von zwei Vorstandmitgliedern, und daher auch automatisch die Vertretungsmacht nur eines Vorstandsmitglieds gegeben sein müsste, blieb unbeachtet. Leider auch bei der Beschwerdeinstanz, dem OLG Naumburg. Dieses stellte sinngemäß fest, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Sonderregelungen nur etwas zur Anzahl der Organmitglieder gesagt habe, nicht jedoch zur Frage der Vertretungsmacht. Und hier, so das OLG Naumburg weiter, müsse es zumindest im Falle einer vorläufigen Abberufung durch den Aufsichtsrat bei den normalen Verhältnissen im Rahmen der Vertretungsmacht bleiben.

Anmerkung

Die Genossenschaft ist durch den Spruch des OLG Naumburg somit handlungsunfähig, soweit der Vorstand nicht mit einer weiteren Person aufgefüllt wird. Hierzu gibt es auf die Schnelle unter Umständen erst einmal nur die Möglichkeit, ein Aufsichtsratsmitglied kommissarisch und für einen im Voraus begrenzten Zeitraum in den Vorstand zu entsenden. Denn eine endgültige Nachbesetzung mit einem weiteren, neuen Vorstandsmitglied kann riskant, oder sogar unmöglich sein, da es sich ja nur um eine vorläufige Amtsenthebung gehandelt hatte. Über die Endgültigkeit der vorzeitigen Amtsbeendigung durch die Genossenschaft hätte die Generalversammlung zu entscheiden, und zwar mit einer Mehrheit von drei Vierteln. Falls die Satzung nur zwei Vorstandsposten vorsieht, und es würde ein neues Vorstandsmitglied dauerhaft bestellt, die Abberufung des bisherigen jedoch in der Versammlung später scheitert, sodass es weiterhin Vorstandsmitglied wäre, dann hätte man eine weitere, sehr „schöne“ Rechtfrage zu klären.

Die Entscheidung des OLG Naumburg ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht verständlich. Wenn der Gesetzgeber schon eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindestzahl zulässt, dann dürfte er auch die Frage einer Handlungsfähigkeit der Genossenschaft im Blick gehabt haben. Sicherlich hätte er dies auch ausdrücklich im Gesetzestext klarstellen können. Aber es entspricht ganz allgemeiner Normierungstechnik, dass in einem Gesetz nicht jede Selbstverständlichkeit oder Eventualität gleich mitgeregelt wird, geschweige denn mitgeregelt werden muss. Auch eine Vorstandsbestellung durch den Aufsichtsrat kann in Pandemiezeiten schwierig sein, nicht nur dann, wenn der Vorstand durch die Generalversammlung zu bestellen ist, sondern auch dann, wenn die Vorstandsbestellung durch den Aufsichtsrat erfolgt. Schutzzweck der Pandemie-Sondergesetze ist eindeutig, die Funktionsfähigkeit des Unternehmens Genossenschaft zu erhalten, ohne dass man sich persönlich treffen, oder sich überhaupt, schriftlich oder digital, auf den Weg machen muss, eine Gremienauffüllung herzustellen.

Die Entscheidung ist daher rundweg abzulehnen. Allerdings sollte in einem vergleichbaren Fall der sicherste Weg gewählt werden, und, soweit dies möglich ist, eine zügige Besetzung des freigewordenen Sitzes erfolgen. Erwähnenswert ist vielleicht noch Folgendes: Die Entscheidung des OLG Naumburg erging zur Fallgestaltung einer vorläufigen Amtsenthebung eines Vorstandsmitglieds. In anderen Konstellationen, etwa bei regulärem Auslaufen der Amtszeit mit bewusstem Amtsverzicht des Betroffenen, erscheint die Rechtsansicht des OLG Naumburg noch deutlicher unzutreffend zu sein.